Rede des Fraktionsvorsitzenden Thomas Trüper im Ausschuss für Umwelt und Technik des Mannheimer Gemeinderates am 03.12.2020:
Bevor ich einige kritische Anmerkungen zum vorliegenden Mietspiegel 2020-21 mache, möchte ich feststellen, dass sich die Kritik nicht auf diejenigen bezieht, die diesen Mietspiegel nach den spärlichen, aber von der Wirkung beträchtlichen Vorgaben des 558er-Paragrafen des BGB erarbeitet haben. Sie sind gehalten, streng wissenschaftliche Kriterien anzuwenden und haben dies meiner Meinung nach auch getan.
Die Li.PAR.Tie.-Fraktion kritisiert jedoch die Vorgaben für die Erstellung des Mietspiegels, die endlich vom Gesetzgeber überarbeitet werden müssen. Nun kann man sagen: Schluss oder gar nicht erst Anfang der Debatte! Wir sind hier im Gemeinderat und nicht im Bundestag. Das wäre aber viel zu kurz gesprungen. Denn die Wirkungsweise der Mietspiegel spielt sich nirgends anders als in den Kommunen ab. Wir hier in Mannheim haben genau wie in den meisten anderen Städten das Problem, dass sich bald niemand mehr mit durchschnittlichen Einkommen eine Wohnung in dieser Stadt leisten kann, insbesondere bei Abschluss eines Neuvertrags, wenn man nicht das Glück hat, z.B. bei der GBG eine geeignete Wohnung zu finden. Das betrifft z.B. ganz viele in der Daseinsvorsorge arbeitende Menschen wie z.B. das Pflegepersonal. Für die Kliniken in Mannheim beispielsweise ist das Mietpreisniveau ein echtes Hindernis bei der Personalgewinnung. Wer in oft schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen tätig ist (Liefern, Reinigen, Kochen, Spülen, Überwachen – um nur einige Beispiele zu nennen) ist noch schlechter dran.
Die „Durchschnittsmiete“ ist in Mannheim in den letzten zwei Jahren um 8,4% gestiegen, in den letzten 10 Jahren um 39,3%. Diese Preissteigerungsrate ist eindeutig spekulativen Ursprungs und nicht einfach der gesamtwirtschaftlichen Teuerungsrate geschuldet. Die realen Nettolöhne und –gehälter sind in den letzten 10 Jahren um 12,2% gestiegen – ein krachendes Missverhältnis.
Was kann der Mietspiegel dafür? Er spiegelt doch nur, wie der Name schon sagt, die Realität. Das ist einerseits richtig. Aber andererseits hat er sogleich auch normative Kraft. Er zeigt auf, wo noch was geht. Und das mit immer wieder wechselnden Kriterien, weil die Statistikerinnen sonst keine realen Bezüge zwischen den unterschiedlichen Preisen und den Eigenschaften der Wohnungen herstellen können (Regressionsmethode). Neu im vorliegenden Mietspiegel ist z.B. die fußläufige Distanz zum nächsten Eingang von Stadtteilzentren bzw. der Fußgängerzone in der City einschließlich der Strecke G/H 2 bis G/H 5 mit einem Prozentaufschlag von 4 bzw. 9%. Neu ist der Aufschlag für eine Videosprechanlage von 9%. Das löst eine Dynamik in künftiger Mietpreisgestaltung aus.
Einstmals gültige Kriterien wie Entfernung zum Nahverkehr, zur Kita oder Schule und Kriterien wie das Vorhandensein von schädlichen Lärm- und Staubimmissionen sind entfallen. Sie seien nicht mehr relevant, sagt die Statistik.
Als reine Abbildfunktion soll der Mietspiegel keine positiv steuernde Funktion haben. Also z.B. keine Abschläge für Vermieter, die keine energetische Sanierung durchführen. Aber im Endeffekt steuert er eben doch.
Vor allem in eine Richtung steuert der Mietspiegel: In die stete Verteuerung der Mieten. Denn – und das ist ein Hauptmakel des Mietspiegelgesetzes – er bildet eben keinesfalls das gesamte Mietgeschehen in einer Stadt ab, sondern genau das preislich dynamische Mietgeschehen. Er wertet – wie auch der täuschende Begriff der „Durchschnittsmiete“ – nur solche Mietverhältnisse aus, die in den letzten 6 Jahren eine Erhöhung der Miete erfahren haben oder die neu eingegangen wurden, natürlich zu den dann gültigen Angebotspreisen. Der Mietspiegel ist vom System her ein Mietsteigerungsspiegel.
Er lässt die sog. politisch beeinflussten Mietpreise außer Acht (also künftig auch die Mieten aufgrund der 30%-Sozialquote, Sozialwohnungen) und die Wohnungen, deren Eigentümer*innen aufgrund z.B. von sozialer Verantwortung oder aufgrund der langen Dauer des Mietverhältnisses und der Wichtigkeit einer guten Hausgemeinschaft die Mieten jahrelang nicht erhöhen. Solche preisbildnerischen Motive schließt das BGB bei der Erstellung von Mietspiegeln aus der Betrachtung aus.
Der Mietspiegel hat also preistreibende Wirkung, aber – ein klassisches Paradox – gleichzeitig gegenüber unersättlichen Preistreibern eine begrenzende Wirkung. Und er sorgt für ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.
Dennoch bleibt es eine Tatsache: Der analytisch korrekt zustande gekommene Mietspiegel entwickelt bei Gültigwerden sofort normative Wirkung, ohne dass die Kommune – also wir – steuernd eingreifen können im Sinne der absoluten Mehrheit der Mietenden und z.B. auch der Ökologie. Damit geht für über 110.000 Haushalte eine positive Steuerungsmöglichkeit Richtung Preisstabilität im Wohnen verloren. Es wäre EIN wichtiges Steuerungsinstrument neben all den anderen Anstrengungen, die wir – viel zu bescheiden – unternehmen (12-Punkte-Programm, Bodenfonds etc.), um den Mietwohnungsmarkt für die Menschen verträglich zu machen. Denn Mietwohnungen sind schlicht und einfach zum Wohnen da und nicht primär für die Renditeerwartungen von Pensions- und Lebensversicherungsfonds und für die Altersversorgung von Kleinanlegern.
Wir sollten als Kommune Einfluss nehmen auf die Fortschreibung der Mietspiegelgesetzgebung, z.B. durch eine entsprechende Resolution.
Und – für das nächste Mal ganz wichtig – wir sollten als Gemeinderat besser einbezogen werden in die Erstellung von Mietspiegeln. Nicht jedes einzelne hier auftauchende Kriterium ist alternativlos und politisch nicht zu bewerten, wie ja auch ein Befragungsbogen für Vermietende und Mietende nicht einfach vom Himmel fällt, sondern auch einer politischen Begutachtung bedarf.
Mit diesen Hinweisen und Erwartungen stimmen wir dem vorliegenden Mietspiegel noch einmal zu. Wir nehmen aber den Änderungsbedarf sehr ernst.