Der Gemeinderat möge beschließen: Die Sperrzeiten werden gem. § 11 der Gaststättenverordnung Baden-Württemberg für Veranstaltungsbetriebe, kulturelle Einrichtungen, Gaststätten mit Veranstaltungsbetrieb und Discotheken auf dem Gebiet der Stadt Mannheim aufgehoben.
Begründung:
Seit der Einführung einer Sperrzeit hat sich die Lebenswirklichkeit vieler Menschen, aber auch das Betriebsmodell von Clubs und Diskotheken geändert. Vor allem Clubs, die unterschiedliche Genre der elektronischen Musik präsentieren, sind besonders von der Sperrzeit betroffen. So ist es internationaler Standard, dass die Top Stars der Szene meist spät in der Nacht bzw. am frühen Morgen auftreten. Ein weiterer Aspekt von Nachtkultur betrifft das generell veränderte Ausgehverhalten durch die zunehmende Arbeits- und Freizeitflexibilisierung. Auch das verschiebt die „Peaktime“ des Publikums zu späteren Ausgehzeiten und fordert so auch von den Clubs und Diskotheken eine Anpassung.
Steigende Mieten und Kosten u.a. für den Wareneinsatz sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie fordern Clubbetreibende sehr. Sie sind nun umso mehr darauf angewiesen, das Zeitfenster, in dem der Betrieb wirtschaftlich ist, zu vergrößern. Aber auch für die Kommunen selbst ist ein fiskalisches Interesse gegeben. Durch die so genannte Umwegrentabilität ergeben sich auch lokal wirtschaftliche Mehrwerte in allen Bereichen des öffentlichen Lebens und damit symbiotische Effekte (beispielsweise: Einzelhandel, Hotel, Gaststätten, usw.). Diese sind auf den ersten Blick nicht immer erkennbar. Umso logischer erscheinen sie, sobald man die Zusammenhänge in den jeweiligen Stadtteilen mit der Lupe betrachtet. Die Nachtkultur trägt positiv dazu bei, ist durch die Umwegrentabilität aber oft nur auf der sekundären Ebene zu deuten. Zu der Attraktivität einer modernen Stadt gehört auch eine moderne Kultur, eine Ermöglichungskultur, die durch junge Menschen mitgestaltet und mitgedacht werden sollte.
In den letzten Monaten konnte zudem sehr deutlich beobachtet werden, welch wichtige soziale Funktion Clubs und Diskotheken übernehmen. Das sah man besonders hinsichtlich der Entwicklungen im öffentlichen Raum und welche öffentlichen Bedürfnisse, gerade in der Pandemie, das Feiern und der Kulturgenuss stillen. Kulturelle Vielfalt wird insbesondere durch die Nachtkultur ermöglicht. Das Zusammenbringen von Menschen fördert eine gegenseitige Toleranz.
Zusammengefasst geht es also auch um die zukünftige und nachhaltige Ausrichtung einer Stadt. Es ist wichtig der Abwanderung von jungen Menschen entgegenzuarbeiten, da auch diese einen kreativen Mehrwert bieten können und als Fachkräfte in den Unternehmen der Region arbeiten.
Neben der finanziellen und sozialen Belastung der Betreibenden und Gäste, werden Anwohnende durch die Sperrstunde mit diversen Problemen konfrontiert.
Die Besucher*innen betreten die Diskotheken meist zwischen 23 und 1 Uhr in der Nacht, bei Clubs geht die Tendenz sogar in Richtung 24 und 2 Uhr. Gegen 5 Uhr morgens sind die Clubs dann noch gut besucht, jedoch gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Gäste nach draußen zu bitten. Durch den sogenannten „Overcrowding“-Effekt (Überfüllung) können im öffentlichen Raum zusätzliche Situationen für Ruhestörungen oder andere unerwünschte Probleme wie z.B. Körperverletzungen entstehen. Es wirkt zunächst paradox, aber Kulturorte können durch ihren Professionalisierungsgrad entstehenden Konflikten präventiv entgegenwirken. Durch den besseren Lärmschutz in den Orten selbst, kommt es zu weniger Lärm, das Personal (u.a. Security) kann entstehende Konflikte frühzeitig unterbinden. Durch die Aufhebung der Sperrzeiten kommt es zum langsamen „Auslaufen“ des Nachtlebens und Gewalt und Lärm reduzieren sich, außerdem vermeidet man in professionellen Kulturhäusern die Verlagerung an illegale Orte, die diese ganzen Vorzüge nicht besitzen.
Einige Bundesländer und Städte haben die Vielzahl an verschiedenen Lebens- und Wirtschaftsentwürfen schon erkannt und haben die Sperrzeit abgeschafft oder gewähren unkompliziert eine dauerhafte Sperrzeitverkürzung. Das Stadtmarketing Mannheim ist der Politik hier schon voraus und bewirbt die Mannheimer Nächte als “einige der besten Tage”. Ebenfalls wird dort die aktuelle Clubkultur genannt, die von der noch bestehenden Sperrzeit am härtesten betroffen ist.
Daher sollte nun alles darangesetzt werden, die für die Stadtgesellschaft so wichtigen kulturellen Orte zu erhalten und aktiv zu unterstützen. Denn Mannheim macht die Nacht zum Tage!
Bedenken dahingehend, dass die Sperrzeit zum Schutz der allgemeinen Nachtruhe weiterhin notwendig sei, sind bei näherer Betrachtung nicht gerechtfertigt:
Der Schutz der Nachbarschaft und der Allgemeinheit vor Lärm durch Besucher oder An- und Abfahrtsverkehr bleibt unabhängig von der Aufhebung der Sperrzeit weiterhin gewährleistet. Denn die Einhaltung bestimmter Lärmwerte ist im Bundes-Immissionsschutzgesetz i.V.m. der TA-Lärm und der BauNVO verbindlich festgelegt. Dies gilt insbesondere in der Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr morgens. Für diesen Nachtzeitraum sind – und zwar völlig unabhängig von Sperrzeiten- besonders niedrige Lärm-Grenzwerte vorgesehen. Die Betreiber sind verpflichtet, die Einhaltung dieser Lärm-Grenzwerte gegebenenfalls durch Lärmgutachten nachzuweisen.
Die Aufhebung der Sperrzeit bringt den Vorteil mit sich, dass Veranstaltungen kein zeitlich fixiertes Ende haben. Damit werden Lärmentwicklungen vermieden, die bei Beibehaltung der Sperrzeit werktags um 3:00 Uhr morgens oder am Wochenende um 5:00 Uhr bei einem fixen Veranstaltungsende notwendigerweise mit der Abreise des gesamten –teilweise alkoholisierten- Besucherverkehrs verbunden sind. Die individuelle Abreise der Besucher unabhängig von einem fixierten Veranstaltungsende entzerrt die Verkehrsabläufe, was neben der Lärmvermeidung auch der öffentlichen Sicherheit zuträglich ist.
Die Aufrechterhaltung der – weitgehend als „retro“ empfundenen – Sperrzeit bringt die Gefahr mit sich, dass illegale/laute Veranstaltungen zunehmen, sei es im öffentlichen oder auch im privaten Bereich. Mit der allgemeinen Aufhebung der Sperrzeit lässt sich bei betroffenen Betrieben oder deren Besuchern möglicherweise mehr Verständnis dafür aktivieren, dass im Einzelfall auch Einschränkungen notwendig sind, um anderweitige berechtigte Anliegen z.B. von Anwohnern zu schützen.